Hintergründiges und Kurioses über die Lagunenstadt

Die Wanne ist voll - Aqua Alta durchspült die Stadt

Der Gezeitenhub in Venedig beträgt im Normalfall kaum mehr als einen halben Meter, kann in den Wintermonaten aber auch beträchtlich höher steigen. Ab einem Wasserstand von 80 cm (Die Zahl bezieht sich auf die mareographische Null, gemessen nahe der Punta della Dogana bei der Chiesa Madona de la Salute) spricht man von Acqua Alta – Hochwasser. Das Wasser tritt an den tieferen Stellen über die Ufer und quillt zum Beispiel auf dem sehr niedrig gelegenen und deshalb häufig von Acqua Alta betroffenen Markusplatz aus den Gullys. Ein Wasserpegel von 95 cm beeinträchtigt bereits den Vaporetto-Verkehr im Canale di Cannaregio, und die Passanten müssen mit nassen Füßen rechnen.

Für die höheren Fluten hält die Stadtverwaltung ein Netz an Laufstegen, sogenannte Passerelle, bereit und gewährleistet damit eine trockene Passage zu den wichtigsten Vaporetto- Anlegern und den Haupt-Sehenswürdigkeiten.

Andere Gassen und Plätze sind jedoch nur in Gummistiefeln, beziehungsweise in den flächendeckend angebotenen einfachen Überziehstiefeln aus verstärkter Plastikfolie (circa 10 Euro pro Paar) passierbar.

Ein in der ganzen Stadt hörbarer, durchdringender Sirenenalarm kündigt frühzeitig das Acqua Alta an. Bei einer drohenden Flut von mindestens 110 cm ertönt im Anschluss ein mehrfach wiederholtes gleichmäßiges Signal. Bei einem zu erwartenden Pegelstand von mindestens 120 cm sind zwei ansteigende Töne zu hören, ab 130 cm drei und ab 140 cm vier Töne.

Das ökologisch und finanziell umstrittene Großprojekt Mose, dessen Fertigstellung seit Jahren immer wieder verschoben wird, will ab einem Wasserstand von 110 cm mit Hilfe gewaltiger Schotten die Lagune vom Meer trennen und so die Stadt vor den hohen Fluten bewahren. Unter der von der Kommune unterhaltenen Gezeitenvorhersage im Internet erhalten Sie aktuelle Informationen: www.comune.venezia.it/flex/cm/pages/ServeBLOB.php/L/IT/IDPagina/1748

Hilfreich für Smartphone-Besitzer sind die kostenlosen Apps „Acqua Alta“ und „hi!tide Venice“, die neben der Gezeitenvorhersage und dem aktuellen Wasserstand auch Life-Bilder sowie die Passierbarkeit einer größeren Anzahl von ausgewählten Orten anzeigen.

Ein Besuch in der Oper

Wer einen Blick in das prunkvolle Teatro La Fenice mit seinen eleganten Logen werfen möchte, ohne eine Oper anhören zu wollen, dem raten wir zu den täglich auch mit Audioguide stattfindenden Führungen. In rund einer Stunde erfährt man Interessantes über die wechselhafte Geschichte des mehrmals abgebrannten und wie Phönix (italienisch „Fenice“) aus der Asche wieder erstandenen Opernhauses sowie Amüsantes über die immer neu an die Bedürfnisse der jeweiligen Machthaber Venedigs anzupassende herrschaftliche Loge.

Der alte, aus den Trümmern eines Vorgängerbaus gerettete Phönix befindet sich über dem heutigen Haupteingang.

Eine Adelskirche ohne Campanile

Die Barockfassade der Chiesa S. Maria del Giglio imponiert unter anderem durch die Statuen derer von Barbaro, die sich damit im 17. Jahrhundert selbst ein Denkmal gesetzt haben. Mit den auf den unteren Sockelreliefs dargestellten Städten pflegte die Adelsfamilie gesellschaftliche oder geschäftliche Beziehungen.

Neben Gemälden von Tintoretto und Veronese finden Rubens-Liebhaber im Gotteshaus das einzige Werk des Meisters in Venedig: Maria mit Jesus und dem sehr jungen Johannes dem Täufer.

Der Campanile zur Kirche musste 1775 abgerissen werden, da er sich mittlerweile gefährlich weit geneigt hatte. Der Wiederaufbau geriet ins Stocken, es blieb schließlich bei einem nur wenige Meter hohen Ziegelstein-Stumpen, der heute als etwas deplatziert wirkendes Häuschen einen Andenkenladen beherbergt.

Evangelisch in Venedig

Rechts am Campo SS. Apostoli in Cannaregio ist in der freistehenden ehemaligen Scuola dell‘Angelo Custode die rege, rund achtzig meist deutschsprachige Mitglieder zählende, evangelisch-lutherische Gemeinde Venedigs mit ihrem aus Südtirol stammenden Pastor angesiedelt. Am Eingang hängen der aktuelle Veranstaltungsplan und die Besichtigungszeiten aus, zu denen Touristen herzlich willkommen sind. Immer ist ein Gemeindemitglied anwesend, das aus der interessanten Geschichte der Pfarrei erzählen kann.

Jeden zweiten Sonntag wird im Versammlungssaal im ersten Stock ein Gottesdienst abgehalten. Außerdem finden im Erdgeschoss regelmäßig die beliebten Treppenkonzerte „Concerti sulla Scala“ statt.

Heilige Maria, bitte für uns

Eine Inschrift am Sotoportego de la Corte Nova in Cannaregio besagt, dass die Jungfrau Maria die Anwohner seit dem 17. Jahrhundert immer wieder vor Seuchen und Katastrophen sowie einem Bombenangriff im Ersten Weltkrieg verschont hat. Der auffallende rote Marmorstein wurde anlässlich der großen Pestepidemie im Jahre 1630 zum Gedenken an die Wundertat Mariens ins Pflaster eingelassen und soll beim Betreten Glück bringen. Noch heute versammeln sich die Bewohner im Sotoportego regelmäßig zum Rosenkranz.

Gondeltour unter die Kirche

Wenn man in S. Marco von der Ponte S. Maurizio in Richtung Campo S. Stefano geht, sieht man rechts auf ein venezianisches Unikum, den unter der Apsis der Chiesa di S. Stefano hindurch fließenden Rio. Bei entsprechend niedrigem Wasserstand können die Gondeln unters Gotteshaus staken und am Campo S. Anzolo wieder auftauchen.

Das erste Ghetto

Das venezianische Ghetto in Cannaregio ist namensgebend für die abgesonderten Wohnviertel der jüdischen Bevölkerung in Europa. Den Juden Venedigs war hier im Jahre 1516 das Gebiet der Eisengießerei (venezianisch: geto) zugewiesen worden. Das jüdische Museum bietet mehrmals täglich Führungen durch drei der insgesamt fünf Synagogen in italienischer und englischer Sprache an.

Das sogenannte neueste Ghetto, Gheto Novissimo, wurde Mitte des 17. Jahrhunderts errichtet, um der ständig steigenden Bewohnerzahl gerecht zu werden.

Das Kreuz mit den Kreuzfahrtschiffen

Nicht erst seit dem spektakulären Kentern der Costa Concordia vor der Insel Giglio Anfang 2012 formiert sich Widerstand gegen die „Grandi Navi“, die „Großen Schiffe“, wenn sie sich beim Ein- und Auslaufen durch den Canale della Giudecca zum Greifen nah an der Skyline von Dorsoduro, S. Marco und Castello vorbei schieben.

Was für die Touristen gleichermaßen an Bord wie auch an Land ein beeindruckendes Spektakel ist, stößt bei den Einheimischen mehr und mehr auf Unbehagen, Furcht und Ablehnung. Zwei Maßnahmen könnten zukünftig für Abhilfe sorgen. Zum einen sollen Schiffe ab einer bestimmten Größe in einem Terminal außerhalb der Lagune vor Anker gehen müssen. Die zweite, noch sehr umstrittene Überlegung ist, eine neue Zufahrtsrinne westlich der Giudecca auszubaggern und so einen direkten Zugang vom bestehenden Hafen zum Meer zu schaffen.

Im Jahr 2012 lag der Hafen von Venedig weltweit auf Platz neun gemessen an der Zahl der Passagierbewegungen. Den vorläufigen Rekord hält der 21. September 2013, als sich insgesamt zwölf Kreuzfahrtschiffe in der Stadt befanden.

Die hässliche Seite Venedigs

Am Festland gemahnen die schemenhaft in den Himmel ragenden Schornsteine der futuristisch-bizarr anmutenden Industrielandschaft von Porto Marghera an die Schattenseiten der Serenissima. Jahrzehntelang wurden die giftigen Abwässer vor allem der petrochemischen Industrie praktisch ungehindert in die Lagune geleitet. Die Giftstoffe (unter anderem wurden große Mengen an Arsen, Cadmium, Blei, Quecksilber, Phenol, Dioxin und DDT nachgewiesen) führten zu Hunderten von Todesfällen bei Fabrikarbeitern und Anwohnern. Erst in den 1990er Jahren, nach massivem Druck einer Bürgerinitiative, wurde dem Spuk ein Ende bereitet.

Hinter den Industrieanlagen von Marghera ragen spitz die Euganeischen Hügel heraus.

Die Brücken der Fäuste

Die Ponti dei Pugni, Brücken der Fäuste in Cannaregio und Dorsoduro, waren im Mittelalter Austragungsorte schlagkräftiger Auseinandersetzungen zwischen zwei rivalisierenden Pfarreien. Da die Brücken damals noch keine Geländer besaßen, landeten die heißblütigen Kämpfer nicht selten im kühlen Nass. Die vier abgebildeten Füße an den Brückenecken erinnern an diesen archaischen Brauch.

Cannaregio
Dorsoduro

Die Scuola Grande di S. Marco

Seit 2014 kann man im Ospedale Civile in Castello, ohne einen Krankenbesuch vortäuschen zu müssen, zwei der schönsten Säle Venedigs bewundern. Der Weg zur Scuola Grande di S. Marco ist ausgeschildert. Vom Haupteingang am Campo SS. Giovanni e Paolo geht es beim Empfang rechts die beeindruckende Treppe hoch in den ersten Stock. Außer einer Reihe von Werken Tintorettos und anderer Meister ist in den überdimensionalen Räumlichkeiten unter der vergoldeten Kassettendecke eine umfangreiche Sammlung historischer medizinischer Instrumente und Fachbücher ausgestellt.

Türen, Türen, Türen

Ob ehemaliger Adelspalazzo oder sozialer Wohnungsbau – häufig eint die venezianische Hausarchitektur gestern wie heute dasselbe Grundmuster. Die eng beieinander stehenden Türen an den Gebäudefronten führen mittels eines verzweigten Wege und Treppensystems separat zu den einzelnen Wohnungen. Den lieben Nachbarn muss man so nur an den unvermeidlichen Kreuzungspunkten der Zwischengeschosse oder im Innenhof begegnen. Wird ein Familienpalazzo in ein Mehrparteienhaus umgewandelt, bekommt auch hier jeder seine eigene Türe samt dazugehöriger Hausnummer.

Am Campo S. Giustina
Gegenüber der Chiesa S. Isepo

Die Brücke der Gefallenen

Die futuristische Ponte della Costituzione, im Volksmund Ponte dei Caduti (Brücke der Gefallenen) genannt, wurde 2008 nach endlosen Streitigkeiten zwischen Einwohnern und der Stadtregierung als direkte Verbindung zwischen der Piazzale Roma, dem Endpunkt des Straßenverkehrs, und dem Bahnhof mit dem dahinter liegenden Stadtteil Cannaregio fertiggestellt. Das vom spanischen Architekten Calatrava entworfene Bauwerk befindet sich im Kreuzfeuer der Kritik, weil die Bauzeit viel länger und die Kosten viel höher als geplant ausgefallen waren. Vor allem aber ärgert sich die Bevölkerung über die offensichtlichen Mängel des Bauwerks. Für den Gepäck- und Warentransport, sowie die zahllosen am Busbahnhof ankommenden Reisenden mit ihren Rollkoffern bilden die Stufen der Bogenbrücke ein unnötiges Hindernis. Die Rollstuhlfahrer wurden bei der Konstruktion komplett vergessen, so dass die Stadt für sie nachträglich eine seitlich entlanglaufende Kapsel angebracht hat, die allerdings nie in Anspruch genommen wird. Falls sie nicht - wie meistens - defekt ist, muss man die Benutzung der Kapsel einen Tag zuvor bei der Stadtverwaltung anmelden, deren „Meisterstück“ als opera inutila, unnützes Bauwerk, bereits jetzt in die Geschichte eingegangen ist. Mittlerweile ist geplant, den Schandfleck für teures Geld wieder entfernen zu lassen und Rollstuhlfahren den Fahrpreis für die Querung des Canal Grande im Vaporetto zwischen Bahnhof und Piazzale Roma zu erlassen. Bei Regen oder Schnee wird die Brücke außerdem immer wieder aufgrund der erhöhten Unfallgefahr auf den glatten Glasstufen gesperrt, was ihr den Namen „Brücke der Gefallenen“ eingebracht hat.

Eine Brücke aus Stein? Nie im Leben ...

Es lohnt sich, die der Rialtobrücke zugewandte Front des Kriminalgerichts näher zu betrachten. Dort sind zwei grotesk anmutende Friese zu erkennen, die einen Mann mit drei Beinen (links) und eine Frau mit flammendem Unterleib (rechts, s. Foto) zeigen. Nach einer Überlieferung hatten sich die beiden im 16. Jahrhundert skeptisch über die Realisierung eines Neubaus der bislang hölzernen Rialtobrücke geäußert. Ihm sollte ein drittes Bein wachsen, ihr Unterleib sollte verbrennen, wenn es tatsächlich gelänge, die Brücke aus Steinen zu bauen. Und, nun ja, die Brücke wurde aus Steinen gebaut ...

Nicht nur Pisa ...

... kann mit einem schiefen Kirchturm aufwarten. Venedig hat und hatte derer eine ganze Reihe. Am spektakulärsten war der Einsturz des überschiefen Campanile auf dem Markusplatz im Jahr 1902, der bald darauf wieder originalgetreu aufgebaut wurde. Neben den drei venezianischen Kirchtürmen von S. Pietro di Castello, S. Stefano (sehr gut vom Campo S. Anzolo aus zu sehen) und der Chiesa dei Greci springt förmlich der Glockenturm der Chiesa S. Martino auf Burano ins Auge, der es leicht macht, die Insel in der nördlichen Lagune schon von Venedig her zu erkennen.

Vier der schiefsten Kirchtürme Venedigs: Die Chiesa dei Greci, S. Pietro di Castello, S. Stefano und S. Martino auf Burano

Un’ombra per favore – Weshalb man in Venedig “Schatten“ bestellt

Die wahrscheinlichste Erklärung für die venezianische Bezeichnung „Ombra“ (wörtlich „Schatten“) für ein kleines Glas Wein lautet: Um den Wein kühl zu halten, wanderten die Verkäufer, die keinen eigenen Laden hatten, auf der Piazza S. Marco im Laufe des (sonnigen) Tages mit dem Schatten und ihren Weinfässern um den Campanile. Die Venezianer trinken gerne schon mittags ihren ersten Ombra, auf den im Lauf des Tages noch mehrere folgen können.

Löwenmäuler

Die Kirchenfassaden von S. Martino in Castello und S. Maria della Visitazione in Dorsoduro sind mit einem sogenannten Bocca di Leone, einem Beschwerdebriefkasten in Form eines Löwenmauls versehen. Die Bürger der alten Republik Venedig konnten hier ihre schriftlichen Anzeigen einwerfen, deren vertrauliche Behandlung garantiert wurde. Anonyme Meldungen wurden allerdings nur in gravierenden Fällen bearbeitet.

S. Martino
S. Maria de la Visitazione

Caffè sospeso im Gewächshaus

In dem ursprünglich im Jahre 1894 für die Biennale errichteten Gewächshaus mit dazugehörigem Garten betreibt seit 2010 die gemeinnützige sozial-ökologische Organisation Nonsoloverde das behagliche Caffè La Serra und gibt damit ehemals drogenabhängigen Menschen eine Beschäftigungsmöglichkeit. Es dient gleichzeitig als Begegnungsstätte für die Bewohner des Viertels, in der vom Yogakurs für Schwangere bis hin zu Slow-Food-Seminaren allerlei geboten wird. Natürlich werden auch weiterhin Pflanzen gezüchtet und neben Biolebensmitteln sowie nützlichen Accessoires diverser sozialer Organisationen im Ladencafè vertrieben. Besondere Erwähnung verdient der aus Neapel stammende und im La Serra praktizierte Brauch des Caffè sospeso. Wer möchte, zahlt zwei Caffè und trinkt nur einen, der andere wird bei Bedarf an einen Bedürftigen ausgegeben. Auf einer Schiefertafel notiert die Belegschaft, wie viele „aufgeschobene“ Tassen Caffè momentan vorrätig sind.

Die originellste Buchhandlung Venedigs

In der Calle Bragadin 6264 in Castello kann, wer mag, in der urigen Buchhandlung Acqua Alta unter anderem in deutscher Literatur schmökern. Mit etwas Glück liegen auch Romane von Donna Leon und diesbezügliche Sekundärliteratur aus. Wir betreten den Laden durch den Hintereingang (Haupteingang: Calle Longa S. Maria Formosa) und befinden uns in einem Gesamtkunstwerk aus Gondeln, Booten und Badewannen, die als Regale für die Unmenge an antiquarischen sowie aktuellen Büchern dienen. Eine begehbare „Büchertreppe“ und der liebenswürdige polyglotte Besitzer samt verschmusten Katzen runden das Bild ab.

Vu‘ cumprà – Willst du kaufen?

Die zumeist senegalesischen oder pakistanischen Händler gehören zum alltäglichen Straßenbild. Neben Selfie-Stativen, Sonnenbrillen, Regenschutzkleidung, Leucht-Fallschirmchen und unplatzbarem Weichplastik- Gemüse (!?!) sind vor allem illegale Nobelhandtaschen-Imitate ihre Handelsobjekte. Nicht übertrieben ist im Film „Blutige Steine“ die Szene, in der sich ein Vucumpra mit seinen Taschen direkt vor einem Taschengeschäft mit Markenware aufbaut und somit dessen Umsatz bedroht. Die merkwürdige Bezeichnung „Vucumpra“ ist eine Verballhornung der Geschäftsanbahnungsgespräche: „Vu‘ cumprà?“ – „Vuoi comprare?“ – „Willst du kaufen?“

Pinkeln verboten!

Läuft man mit offenen Augen durch die Stadt, entdeckt man vor allem in mehr oder weniger finsteren Gassenecken oder an schützenswerten Gebäuden merkwürdige, auf Schenkelhöhe angebrachte, sich sanft senkende Steinplatten oder steinerne Mauervorwölbungen. Diese Antipissoire hindern die Herren der Schöpfung daran, ihr kleines Geschäft ebenda zu verrichten.

Inselgeschichten

Venezianisches Totengedenken

Nicht nur für Friedhofsfreunde bietet sich eine ausgiebige Erkundigung der Insel S. Michele an, die erst seit Beginn des 19. Jahrhunderts als Begräbnisstätte genutzt wird. Vorher hatten die Venezianer ihre Toten auf den Kirchenvorplätzen oder in den Klostergärten der Stadt bestattet, was aus hygienischen Gründen nicht mehr haltbar war.

Napoleon Bonaparte wies im Jahr 1804 als letzte Ruhestätte fortan die Isola S. Cristoforo aus, die sich sehr bald als zu klein erweisen sollte. Anno 1837 wurde S. Christoforo schließlich mit der benachbarten Klosterinsel S. Michele zu einer einzigen Insel, der heutigen Isola S. Michele verbunden, und der trennende Kanal zugeschüttet. Der dort errichtete städtische Zentralfriedhof leidet seit jeher an Platznot, was regelmäßige Erweiterungen und eine begrenzte Liegezeit zur Folge hat.

Ein Besuch an Allerheiligen (1. November) ist ein Erlebnis der besonderen Art: Die Gemeinde richtet einen kostenlosen Pendelverkehr ein, und ganz Venedig scheint auf die „Insel der Toten“ zu pilgern. Die Gräber werden mit frischen Blumen und Gestecken geschmückt und zum Abschluss picknicken die Angehörigen im Kreise ihrer Verstorbenen.

Verrückt in Venedig auf San Servolo

In dem ehemaligen Benediktinerkloster S. Servolo auf der gleichnamigen Insel hat im 20. Jahrhundert bis zur endgültigen Schließung aller psychiatrischen Krankenhäuser Italiens 1976 die Gemeinde Venedig ihre Psychiatrie für Männer eingerichtet. Mittlerweile sind dort ein Tagungszentrum sowie ein aufschlussreiches Museum über die psychiatrische Behandlung der letzten Jahrhunderte mit einer historischen Apotheke und einem kleinen anatomischen Theater untergebracht. Das Museum öffnet zweimal täglich seine Pforten für die Öffentlichkeit und ist auch außerhalb der Besuchszeiten nach Voranmeldung im Rahmen einer italienischen oder englischsprachigen Führung zu besichtigen (Tel: +39 041 5240119, www.sanservolo.provincia.venezia.it).

Durchaus lohnenswert ist ein Streifzug durch den jederzeit frei zugänglichen stillen Inselpark, dessen alte Ummauerung mittels kunstvoll eingehauener Öffnungen unterschiedliche Blickachsen auf die Lagune erlaubt. So erkennt man gegenüber in westlicher Richtung die dicht bebaute, öffentlich nicht angebundene Isola S. Clemente, in deren Klosteranlage von Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1922 die Nervenheilanstalt für Frauen betrieben wurde. Heute nächtigen in dem historischen Komplex die illustren Gäste des Fünf-Sterne-Luxushotels S. Clemente Palace Venice.

Die Insel wird mit derLinie 20 vom Anleger S. Zaccaria, Anleger B aus angefahren.

Sommer- und Winterfrische auf dem Lido

Während die nördliche Landzunge ab Punta Sabbioni als „Teutonengrill“ herhält und Pellestrinas Küste im Süden weitgehend vom Badebetrieb unberührt geblieben ist, haben die Venezianer ihren Hausstrand auf dem Lido eingerichtet. Nur zehn Minuten Überfahrt und ein kurzer Spaziergang durch den hübschen Jugendstil-Boulevard Gran Viale S. Maria Elisabetta trennt die Serenissima von feinstem Sandstrand am offenen Meer. Als Pendant zu den Strandkörben an Nordund Ostsee stehen hier lange Reihen mit den sehr begehrten Badehäuschen, die zumeist die gesamte Saison über fest vermietet sind. Am Neujahrsvormittag findet ein besonderes Spektakel statt: Die “Ibernisti” stürzen sich vor viel Publikum in die kalten Wogen. Anschließend gibt’s zum Aufwärmen leckere Linsensuppe mit Würstcheneinlage für alle.

Den Lido fahren zahlreiche Vaporetti an. Man kann z. B. nach einer Canal-Grande-Tour in der Linie 1 bis zum Lido sitzen bleiben.

Darf’s noch etwas bunter sein auf Burano?

Einige beliebte, jedoch gleichermaßen umstrittene Legenden für die farbenfrohen Häuschen Buranos lauten:

  • Die betrunkenen Fischer konnten anhand der Farben besser nach Hause finden.
  • Auch die nüchternen Fischer konnten ihre Insel leichter erkennen.
  • Nach einer überstandenen Cholera-Epidemie malten die Bewohner ihre Häuser zum Zeichen der Freude bunt an.
  • Jede Farbe ist einer bestimmten Familie zugeordnet.

Eine gesicherte Begründung gibt es nicht. Uns erschien die folgende Erklärung eines Einheimischen am plausibelsten:

Aufgrund der häufigen Abwesenheit der Fischer war die Gesellschaft matriarchalisch geprägt. Die Frauen lebten ihren Sinn für Ästhetik aus, indem sie ihre Häuser bunt bemalten und sogar Wettbewerbe um das schönste Haus veranstalteten. Diese Tradition hat sich bis heute erhalten.

Die Insel wird mit dem Vaporetto Linie 12 vom Anleger Fondamente Nove, Anleger A, aus angefahren.

La Grande Paura auf Pellestrina - die große Angst von 1966

Am 4. November 1966 brach eine Jahrhundertflut über Italien herein, die hauptsächlich Florenz, Venedig und hier besonders die Laguneninseln betraf.

Die zwanzig Meter hohen Wellen durchbrachen auf Pellestrina Teile der Jahrhunderte alten Murazzi, den Schutzwall am offenen Meer, und rissen halbe Dörfer mit sich. Die Insel war von der Außenwelt abgeschnitten, der Strom ausgefallen und die Telefonleitungen unterbrochen. Das Wasser stand bis zu eineinhalb Meter hoch in den Straßen, so dass ca. viertausend Einwohner evakuiert werden mussten, die sich nicht zuvor schon mit ihren Booten aufs Festland gerettet hatten. Neben vielen Ausstellungen und Gedenkveranstaltungen wurde aus Anlass des 50. Jahrestages im Auftrag des venezianischen Teatro La Fenice die Oper Acqua Granda komponiert und zur Aufführung gebracht. Sie erzählt von den fiktiven Erlebnissen des 25-jährigen Fischers Ernesto Ballarin auf Pellestrina, der gemeinsam mit seinem Vater den Fluten trotzt und ihr Haus rettet, statt sich evakuieren zu lassen. In Wirklichkeit musste Ballarin wie alle anderen Einwohner sein Haus und die Insel verlassen.

Ein kleines, im Jahre 2007 eröffnetes Museum in der ehemaligen Scuola Goldoni in S. Pietro in Volta Nr. 160 berichtet über diese dramatischen Stunden und lässt in einem 1996 gedrehten Video Zeitzeugen zu Wort kommen.

Momentan ist das von einem Einwohnerkomitee geführte Museum nur von April bis November an Samstagen und Sonntagen von 10-12 Uhr geöffnet. Weitere Informationen gibt es vorwiegend in italienischer Sprache unter: http://www.museopellestrina.it.

Vor dem Anleger auf dem Lido fahren die Busse der Linie 11 bis zum Ort Pellestrina am südlichen Ende der gleichnamigen ruhigen Fischer-Insel.

Entschleunigung zwischen Wasser und Land

Ein Urlaubstag der ganz entspannten Art lässt sich in der nördlichen Lagune von Venedig erleben. Wer wie Commissario Brunetti in einem traditionellen Puparìn durch die Gegend rudern will, braucht allerdings viel Übung und eine fundierte Ausbildung, wie sie der Ruderclub Canottieri Querini im Sestiere Castello in Venedig anbietet (www.canottieriquerini.it). Auch wer auf eigene Faust mit Kanu, Kajak oder Motorboot durch die amphibische Landschaft schippern will, benötigt gutes Kartenmaterial und nautische Kenntnisse. Die Orientierung in dem verzweigten Kanalsystem ist schwierig, und man strandet leicht in dem seichten Wasser, wenn man sich nicht an die vorgegebenen Wasserstraßen hält oder die Winde und Strömungen unterschätzt. Wir empfehlen von daher eine Exkursion mit auf das fragile Ökosystem der Lagune spezialisierten naturkundlichen Führern. Auf diese Weise können Sie zum Beispiel die suggestive Klosterinsel S. Francesco del Deserto besichtigen, den romantischen Fluss Sile hochfahren oder sich zwischen ausgedehnten Salzwiesen, verlassenen Inselchen und stillen Schilfgürteln die Tier- und Pflanzenwelt der Lagune erklären und die Seele baumeln lassen.

Vogelfreunde dürfen sich über zahlreiche Arten wie Reiher, Eisvögel, Teichhühner, Kormorane oder sogar Flamingos freuen. In der Watt-ähnlichen Landschaft gibt es auch immer wieder Möglichkeiten zur Anlandung, Einkehr und zu faszinierenden Spaziergängen zwischen Land und Wasser. Manola Scarpa und Pier Zane aus Tre Porti organisieren Gruppentouren oder individuelle, auf Ihre Wünsche abgestimmte Halb- und Ganztagesausflüge.

Nähere Informationen finden Sie unter https://www.lagunaescursioni.com oder telefonisch (auf Italienisch oder Englisch) unter +39 3397781132.